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Das Geheimnis des Leidens

Von Br. FRANCESCO D. COLACELLI

Lässt Gott das zu?“ Wie oft haben wir uns diese Frage gestellt, angesichts von Tragödien Einzelner oder Vieler, wie z. B. des Seebebens in Südostasien. Eine gerechte Frage, die sich auch Pater Pio stellte in einem Augenblick, als die Versuchung zu verzweifeln in ihm übermächtig wurde. Er war erst 24 Jahre alt und seit 10 Monaten zum Priester geweiht. Da er selbst keine Antwort fand, wandte er sich an seinen Seelenführer Pater Benedetto aus San Marco in Laniis, welcher ihm folgendes antwortete:

“Habe Mut und fürchte dich nicht. Gott ist treu und wird nicht zulassen, dass du über deine Kräfte versucht wirst. Er wird deiner Seele helfen zu kämpfen, damit du die Schlacht schlagen und gewinnen kannst“. Dann zitiert er aus dem Buch der Weisheit: “Selig die Geprüften, die um der Gerechtigkeit willen leiden, und nicht die, die in Ruhe ungestört leben“. Trotzdem wusste auch Pater Benedetto, dass “all diese heiligen Wahrheiten für unsere armselige und schwache Natur, die das Kreuz flieht und sich vor jedem Schatten fürchtet, schwer zu verstehen sind“.

Dieser ferne Dialog, von Tinte auf Papier festgehalten, spiegelt die menschlichen Dramen aller Orte und aller Zeiten wieder.

Angesichts des “Dramas so vielen schuldlosen Leids und so vieler ungenügend bestrafter Schuld“, vor allem wenn man keinen so guten geistlichen Führer hat

wie der junge Pater Pio, können nicht nur “vielfache Frustrationen und Konflikte in der Beziehung des Menschen zu Gott“ entstehen, es kann sogar “zur Verneinung Gottes selbst“ führen. Ein Risiko, vor dem uns der Heilige Vater in seinem Apostolischen Schreiben “Salvifici Do loris“ warnt. Anlass zu einer tiefer gehenden Betrachtung über diesen grundlegenden Aspekt des menschlichen Daseins. “Eine Überzeugung — schreibt Johannes Paul II. weiter -‚ die sich auch im moralischen Bewusstsein der Menschen findet, besagt: objektiv gesehen verlangt die Moralordnung eine Bestrafung für Übertretungen, Sünden und Delikte. Von diesem Standpunkt erscheint das Leiden als ein ‘gerechtes Übel‘. Die Überzeugung derer, die das Leiden als Strafe für begangene Sünden auffassen, wird von der Rechtsordnung unterstützt“.

Diese Auffassung erweist sich jedoch als unfähig, den plötzlichen Tod, die Tragödien und Schmerzen Unschuldiger zu er klären. Sie kann sich nicht halten gegenüber der Unzahl von Kindern, die bei dem kürzlichen Meerbeben ihr Leben oder ihre Familie verloren. “Das Leiden mag zwar im Sinn von Strafe gesehen werden, wenn es mit einer Schuld verbunden ist, es stimmt jedoch nicht, dass jedes Leiden die Folge einer Schuld und somit Strafe ist“, schreibt heute der Papst an uns wie gestern Pater Bene detto an Pater Pio. Nach Johannes Paul II. sind die schmerzlichen Prüfungen Gottes nichts anderes als “eine Einladung Seiner Barmherzigkeit, die zurecht- weist, um zur Bekehrung zu führen “, denn das Leiden ist der bevorzugte Weg “zur Bekehrung, das heißt, der Wiederherstellung des Guten im Einzelnen, der in diesem Aufruf zur Buße die göttliche Barmherzigkeit erkennen kann. Zweck der Buße ist die Überwindung des Bösen, das in jedem Menschen unter verschiedenen Formen latent vorhanden ist, und die Festigung des Guten sowohl in ihm selbst als auch in der Beziehung zu den anderen, besonders zu Gott “.

Aber auch diese Überlegungen können das Leiden Unschuldiger nicht erklären. Der Heilige Vater weiß das. Im Bewusstsein “der Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit unserer Erklärungen“ stellt er fest, dass “dies ein Geheimnis bleibt, das der Mensch mit seinem Verstand letztlich nicht ergründen kann “. Ein Geheimnis der Liebe, das die Menschen verbindet, Widerschein des größten Geheimnisses der Liebe, das sich auf dem Kalvarienberg vollzogen hat und sich je den Tag auf den Altären unserer Kirchen vollzieht. Und dem Geheimnis gegenüber ist unser einziger Halt der Glaube.

Aus diesem Grund rät uns Pater Pio: “sobald wir merken, den Mut zu verlieren, müssen wir unseren Glauben stärken und uns in die Arme des göttlichen Vaters werfen, der immer bereit ist, uns je der Zeit zu empfangen, wenn wir uns aufrichtig an ihn wenden“.

Quelle: JANUAR/FEBRUAR DIE STIMME PADRE Pios 3